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03.01.2020

Was steht hinter Yoga im Kontext? Ein Erklärungsversuch.


Hathayoga, Poweryoga, Vinyasayoga, Ziegenyoga, Ashtanga, Lachyoga, Kundaliniyoga, Akroyoga, Bieryoga, psychodelisches Yoga, Bikramyoga,Bow Spring...die Liste könnte sicherlich einen ganzen Blogeintrag füllen. Was all diese Stile miteinander teilen ist manchmal wirklichfraglich: Irgendwie Sport, irgendwie ganzheitlich, irgendwiespirituell, irgendwie Indien...Hanuman, Krishna und Namasté. OM.AUM? Veganismus?

In Zukunft möchte ich mit Euch teilen, was mich in meiner Arbeit antreibt, beschäftigt und begeistert. In den nächsten Zeilen findet ihr vielleicht eure Antwort auf die Frage, die ich von Schüler*innen ziemlich oft gestellt bekomme: Welchen Yogastil unterrichtest Du eigentlich?

Yoga im Kontext hinterfragt gewohnte Bewegungs- und Denkmuster, die wir aus unserer Yogapraxis kennen und integriert Techniken und Bewegungenaus anderen Körperpraktiken. Ziel ist ein undogmatischer, fragender und neugieriger Zugang auf die vielen Facetten unserer Körperlichkeit. Im Vordergrund meiner Klassen steht nicht das Erreichen eines bestimmten ästhetischen Bildes sondern die Funktionalität von Bewegungen, das körperliche und auch analytische Verstehen von allgemeinen und individuellen Zusammenhängen. Dabei öffne ich den Raum für das Befragen der eigenen Ziele und Annahmen, die meine Schüler*innen mit auf die Matte bringen. Auf diese Weise bekommt die Praxis eine selbstreflexive, sich selbst bewusst werdende Ebene. Dieser Selbstbezug und nicht so sehr das Üben bestimmter Asanas ist für mich das ausschlaggebende Element, das die Praxis zu Yoga macht.


Bewegung statt Haltung

Der Begriff der „Bewegung“ ist so zentral für mich, weil Bewegung meinem Verständnis nach Sinnzusammenhänge und damit Verbindungen schaftt. In meinem Unterricht geht es deswegen nicht so sehr um das Ziel – die Haltung oder Asana – als vielmehr um die Wege in und aus den Haltungen. Jede Haltung ist in sich auch immer bewegt – solange Du lebst ist dein Körper nie absolut still. Eine "perfekte“ Asana mag für ein Insta-Bild super sein. Mir aber kommt es darauf an, Dir Möglichkeiten aufzuzeigen, mit denen Du sicher und mit Leichtigkeit nicht nur in einer Pose ankommst sondern auch wieder aus ihr gesund herausfindest und sie als Teil eines größeren Bewegungszusammenhanges verstehst.

Deine Praxis soll dich im besten Fall befähigen auch in deinen alltäglichen oder sportlichen Bewegungsabläufen nachhaltiger und bewusster zu werden. Darüber hinaus geht es mir auf einer konzeptuellen-philosophischen Ebene darum, die Übergange von einer Situation in die nächste erfahrbar zu machen und hervorzuheben. Den Fluss von einem Moment in den nächsten, von einer Position in die nächste wahrzunehmen und zu formen. Es ist immer Bewegung, die verbindet, ob gedanklich oder körperlich.

Oft führe ich einen bestimmten Fokus der Stunden mit simplen Bewegungen und Fragen ein, die wir dann im Verlauf der Klasse in komplexere Abläufe führen. Meine Kategorien sind dabei nicht mehr wie früher die verschiedenen Asana- Gruppen wie Vorbeugen, Rückbeugen oder Herzöffner. Stattdessen konzentriere ich mich auf Bewegungsabläufe, die in verschiedenen Haltungen, bzw. in der gesamten Praxis, anwendbar sind.

Seit ca 2 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit Biomechanik (dies kannst Du Dir wie angewandte Physik auf diekörperlichen Strukturen vorstellen) und aktuellen wissenschaftlichen Forschungen zu motorischen Lernen, Verlernen und Erlernen. Die Überzeugungen, die ich aus meiner eigene Yoga- und Bewegungspraxis, sowie Erfahrungen der Verletzungen und Heilung, ziehe, fließen direkt in das ein, was ich weitergebe. Zentral ist mir hierbei nicht nur das Loslösen von Dogmen der Symmetrie und der geraden Winkel, die unserem Körper einfach nicht entsprechen, sondern auch die Rücksichtnahme auf Diversität von Bewegunsabläufen und individuellen Körpern und Bedürfnissen.  


Dir zu sagen, wie genau Du dich bewegen oder positionieren sollst, sehe ich weniger als meine Aufgabe als dein Verständnis und Gefühl für deinen Körper zu erweitern zu spielerisch zu erforschen. So kannst Du dich selbstbestimmt in die für Dich passenden Haltungen und Bewegungen bringen. Mein Ziel ist die Mündigkeit meiner Schüler*innen für sich selbst zu entscheiden. Dabei musste ich mich auch selbst von vielen unhinterfragten Angewohnheiten lösen, die ich rückblickend eher als nicht dienlich und im schlimmsten Fall als übergriffig bewerte. Beispielsweise habe ich Abstand von Assists oder "Hands on" genommen, die Menschen über ihren eigentlichen Bewegungsradius hinaus bringen oder in einem Sinne "korrigieren“, der eine Haltung "besser“ machen soll. Stattdessen gehe ich in die Beobachtung, gebe durch streichende oder klopfende Berührungen oder gebe verbale Vorschläge, die Du annehmen oder auch verwerfen kannst. Am Ende kannst nur Du erspüren, ob und was Du an einer Haltung verändern magst. Ich habe als Yogalehrerin auch mit all meinem Hintergrundwissen keine Autorität darüber dies für Dich zu beantworten. Vielmehr geht es mir darum, Dir einen Raum zu eröffnen, in dem Du dich sicher fühlst Dir diese Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen.


Denken und Fühlen verbinden

Körperliche und kognitive Fähigkeiten oder Überzeugungen gehören für mich zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Insofern möchte ich dem in der Yogaszene leider weitverbreiteten Vorurteilen gegen das Denken und Analysieren widersprechen. Der Satz "In einem gesunden Körper steckt ein gesunder Geist.“ ist keine Einbahnstraße. Yoga ist für mich zentral eine ganzheitliche Praxis, die alle Momente unserer Existenz willkommen heißt – auch das Rationale und Denkende. Inmeinem Unterricht dürfen Denken und Fühlen sich gegenseitig im Dialog befinden und bereichern. Auch auf dieser eher konzeptionellen Ebene geht es mir nicht darum in einer Haltung (nur Denken oder nur Fühlen) zu verharren, sondern die Bewegung zwischen Geist und Körperlichkeit als etwas Wertvolles zu erleben.

Den Kopf einfach mal ausschalten zu wollen ist ein absolut legitimes Bedürfnis, das für viele ein Grund ist, Yoga zu praktizieren. In meinen Klassen werde ich Dich hin und wieder daran erinnern voll ins Fühlen zu gehen und Dich davon leiten zu lassen. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass auch unser Gefühlsraum mit dem verbunden ist, was wir denken (können). Deswegen gibt es in meinem Unterricht gedanklich und koordinativ herausfordernde Momente in der Form von biomechanischen Informationen und ungewohnten Bewegungsabläufen. Auf diese Weise kannst Du dir neue Perspektiven im rationalem und gefühlten Verstehen eröffnen.


Verbundenheit im Körper

Da es – wie sonst im Leben auch - nie nur den einen richtigen Weg gibt, führe ich verschiedene Strategien ein, bestimmte Bewegungen durchzuführen. Unsere Bewegungen können wir beispielsweise aus Muskelkraft, aus dem Freiwerden von Zugspannungen des Bindegewebes oder durch das Nutzen kinetischer Energie durch die Schwerkraft erzeugen. Optimalerweise nutzen wir in unseren Bewegungen all diese Ressourcen. Dabei spielen die verschiedenen Gewebe und Strukturen unseres Körpers miteinander und sind in einem zusammenhängenden System verbunden. Diese These steht hinter dem mittlerweile bekannter gewordenen Tensegrity-Modell. Nach diesem Model ist jeder einzelne Ort unseres Körpers mit allen anderen mittelbar (manchmal auch direkt) verbunden. Jede kleine Veränderung wirkt sich auf das gesamte System aus, das sich so in einem fortlaufenden Ausgleichs- und Anpassungsprozess befindet. Mein Unterricht stützt sich auf dieses Model, das den Körper als lebendiges, bewegtes und kommunizierendes System von Strukturen versteht, die unterschiedliche Eigenschaften haben.

Um diese Verbundenheit nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern auch am eigenen Körper zu erleben, versuche ich meinen Schüler*innen sequenzierte und weniger synchronisierte Bewegungen näher zu bringen. Während in synchronen Bewegungsabläufen an verschiedenen Orten des Körpers zugleich verschiedene Bewegungen passieren, lösen in sequenzierten Bewegungen die Veränderungen an einem Ort deines Körpers wiederum Bewegungen an anderen Orten aus. Wie bei einer Kettenreaktion hat die Bewegung einen Anfang und breitet sich durch den Körper aus – ähnlich eines Dominoeffektes. Die "Gesetzmäßigkeiten“ oder die innere Logik dieser sequenzierten Bewegungen können wir als Gesetze der der Biomechanik verstehen: die Eigenschaften und davon abgeleiteteen Verhaltensweisen von verschiedenen Gewebe- und Verbindungsstrukturen in der allgegenwärtigen Schwerkraft.

Ein kleines Beispiel: Welche Strategien stehen mir zur Verfügung, wenn ich aus dem nach unten schauenden Hund einen Fuß nach vorne setzen will?


  • Muskelkraft: Ich ziehe aus dem dreibeinigen Hund mein Knie kontrolliert und mit Muskelkraft zum Brustkorb, denn ich über meine Handgelenke vor verlagere um den Fuß nach vorne zu setzen.
  • Zugspannung: Durch das öffnen der Hüfte im dreibeinigen Hund und das Anwinkeln des gehobenen Beines entsteht ein Stretch auf meiner Vorderseite bis in den gehobenen Oberschenkel. Wie ein straff gezogenes Gummiband, das wir auf einer Seite loslassen, wird mein Bein, Knie und Fuß durch das das Lösen der Spannung des Stretches nach vorne gebracht.
  • Schwerkraft: Aus dem dreibeinigen Hund wirkt die Schwerkraft auf mein angehobenes Bein nach unten. Durch ein kontrolliertes Fallen kann ich mein Bein und letztendlich auch meinen Fuß nach vorne durchschwingen lassen.


Es ist spannend die verschiedenen Strategien zu erkunden, sie zu isolieren um beispielsweise Muskeln zu kräftigen oder die schwingend-federndende Eigenschaften des Bindegewebes zu fördern, das seine ganz eigene Kraft in sich trägt.

Mit einem informierten Repertoire kannst Du Dich klarer entscheiden, in welches Training und auch in welches Gefühl Du dich in deiner Praxis begeben möchtest. Du kannst die Verbindungen im Körper und die Verbindungen unterschiedlicher Bewegungsstrategien erkunden. Das Üben dieser verschiedenen Möglichkeiten erlaubt Dir auch die verschiedenen Ausgangs- und Zielpositionen besser zu verstehen: Wie sind die einzelnen Teile meines Körpers zueinander angeordnet und verbunden und wie bin ich in Raum und Schwerkraft positioniert? Auf diese Weise erlangst Du ein Mehr an Bewegungsfreiheit, das sich nicht nur in einer größeren Mobilität sondern auch an einem Mehr an Entscheidungsfreiheit zeigt.

Nicht zuletzt ist ein zentrales Verständnis von "Yoga“ Verbundenheit und Befreiung. Mit einer Praxis, die Bewegungskontexte erschließt, befragt und auf verschiedene Weise erfahrbar macht, möchte ich Dir meine Interpretation dieser Yogawerte näher bringen.











 






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